Heinrich Bruppacher Einführung zur Ausstellung

Heinrich Bruppacher, zur Vernissage, Ausstellung  am 27. April 1974

Galerie abc Rathausdurchgang Winterthur

Amor Bild landbote 1974 2

Packpapier verschiedener Farbe und Qualität, Wellkarton, einfach und doppelt beschichtet, Fetzen, Papierschnitzel und Blechdeckel mit Rostflecken sind normalerweise Materialien unserer Arbeitswelt. Als Packpapier Hülle wertvollerer Güter, Wegwerfmaterial, das wir, falls brennbar, bereits als umweltfreundlich bezeichnen, trotzdem eigentlich Abfall. Material, an dem alltägliche Prozesse kleben, Arbeitsprozesse, Herstellen, Verpacken (im Akkord wahrscheinlich) Transport, Auspacken; Material, das von der Verwertung bereits gezeichnet ist oder falls noch ungebraucht, für ganz andere Zwecke produziert wurde: Wir finden es hier an der Wand einer Kunstgalerie. Was soll das?

Vielleicht springt zunächst die Umkehrung ins Auge: Was sonst Wegwerfmaterial ist, hängt nun seinerseits kostbar gerahmt; die Verpackung ist zum Verpackten geworden, was Hülle war oder als solche gedacht, ist nun selber zum Produkt geworden, zum künstlerischen Produkt Heinrich Bruppachers. Was ging da vor?

Fürs erste lässt sich der Arbeitsprozess nachzeichnen: Collagen heissen solche Bilder, also Klebebilder. Bruppacher klebt, reisst, schneidet, verletzt Oberflächen, schichtet übereinander, wartet ab, klemmt zwischen Schraubzwingen, beschädigt eigene alte Bilder und baut Teile daraus in neue ein. Die Werkzeuge sind Stahlbürste, Glaspapier, Leim, Messer, Stechbeutel, Scheren; regelmässiger 8-Stundentag, Ökonomie der Mittel in jeder Beziehung.

Der Arbeitsprozess ist in den Bildern dokumentiert. Die mechanische Behandlung der Materialien, ihre Farbveränderung z.B. beim Bild „Grünes Feld“, werden als Gestaltungsmittel einbezogen. Sie verändern die Collagen unmerklich auch nach ihrer Fertigstellung. Eine Vernissage im Wortsinn findet nicht statt.

Was so entsteht, ist bemerkenswert: Alltagsmaterial wird verdichtet, verzahnt, gegen einander aufgebaut und abgezogen, verletzt, ins Bild gebracht; nicht laut und deklamatorisch sondern aufgeladen aus einer merkwürdigen Dialektik von Widerspruch und Verhaltenheit, von Härte und Dämpfung.

Der Herstellungsprozess sei im Allgemeinen ein Dämpfungsprozess, sagt Bruppacher, Ziel sei im Grunde genommen eine kaum mehr als gestaltet wahrnehmbare Fläche, die jedoch vibriert vor Intensität und verhaltenem Widerspruch. – Eine „schöne“ Fläche? wäre zu fragen. Vielleicht, allerdings mit dem hohen Anspruch im Sinne Adornos, der feststellt: „Schönheit hat heute kein anderes Mass als die Tiefe, in der die Gebilde die Widersprüche austragen, die sie durchfurchen und die sie bewältigen einzig , indem sie ihnen folgen, nicht, indem sie sie verdecken“ (Zitat Ende).

Über die Regeln, die dabei zur Anwendung kommen, die Grammatik der bildnerischen Mittel möchte ich mich nicht weiter äussern; was man feststellen kann: Heinrich Bruppacher beherrscht sie, die gestalterische Qualität ist selbstverständlich, was wesentlich ist, denn sie erst erschliesst Bedeutungen.

Was bedeuten nun solche Bilder? Welche Möglichkeiten eröffnen sie uns, wenn wir bereit sind, sie als mehr zu nehmen als nur Wandschmuck und Dekoration Blumenstrauss und Familienwappen?

Da ist zuerst ein Missverständnis auszuräumen: Die Bilder Heinrich Bruppachers enthalten keine versteckte Botschaft, nichts „Gemeintes“, das nun entschlüsselt werden müsste, sondern sie erschliessen und die Bedeutungen, die wir ihnen geben, stimulieren u n s e r e Erfahrungen, Verdrängungen, geben uns Einblicke, verweisen uns auf u n s e r Nichtgelebtes, Nichterlebbares, auf Härten auch, vor denen wir geschützt sind, unter Glas, gut versichert. – Sie geben Assoziationsspielräume frei.

Je nach Konstitution, Verletzlichkeit und Phantasie sehen Sie an diesen Wändenund auf diesen Flächen:

Verbrannte Matialien und Gegenstände, Spuren von Dingen, die eine Geschichte haben, Landschaftten als Gesichter und Figuren, die Zwillinge, z.B. den Schneemann, den Kürbis da hinten,

Figuren und Fratzen, fröhlich Zwergenhaftes, den Gnom, den Dekan, Phantastisches, Verdrängtes, beschädigte Gesichter (wovon beschädigt?), kopulierende Paare, Verspieltes, das ironisch ausgespielt hat, der Globetrotter, der Schwimmer, von inneren und äusseren Zwängen Gezeichnete, Verzerrungen ins Ironische und kautzig Skurile,

Assoziationsspieräume, die auch der Künstler nutzt in seinen Titeln: Bon voyage, Kürbis, Zwilling, Hans im Glück, Kristall, u.a.

Mit diesen Collagen verfolgt Heinrich Bruppacher mit neuen bildnerischen Mitteln ein altes Ziel:

Gebrauch, Abnutzung von Gegenständen, die ‚Geschichte’ haben, Verdichtung, Assoziationsspielräume, wurden schon im grossen „grauen Tisch“ von 1968 mit malerischen Mitteln evoziert, beschädigte, verbrauchte Leute in den vielen Figuren und Bildnissen der Zeit 1968 bis 70, z.B. im Bildnis von Zwingli und im Selbstbildnis mit den aufgeklebten Augen.

Die Kunst Bruppachers bringt uns die Verletzungen, Beschädigungen, Widersprüche und Konflikte der Realität als Kunstwelt in gedämpft verdichteter Form nahe, er legt sie uns nahe, auch unsere eigenen.

Seine Kunst stört, aber ich möchte Sie auffordern. Lassen Sie sich stören. Denn voll auf die Bilder Bruppachers eingegangen sind sie erst, wenn Sie in gewisser Weise  i n die Bilder eingegangen sind, sich von ihnen nehmen lassen.

Setzen Sie sich für einen Moment den sachten Bedrohungen dieser Bilder aus, den Verletzungen, Härten, zerstörten Landschaften und Dingen und verrückten Greisen, nehmen Sie, meine Damen und Herren, Ihre Vögel aus dem Haar und öffnen Sie für einen kleinen Moment Ihre beschädigten und verbrauchten Augen… –

Bitte erschrecken Sie nicht:

Heinrich Bruppacher ist nicht so brutal, er meint es gut mit uns. Seine Werke haben Rahmen, sind sehr subtil abgesetzt, uns zur Sicherheit und zum Trost, abgegrenzt von unserer Alltagswelt. Pannen und Verwechslungen, wie ich sie eben zu provozieren versuchte, sind nicht möglich, w i r bestimmen den Grad der Störungen, den wir den Bildern zugestehen, unsere Welt bleibt fast intakt.

Die Rahmen sind kostbarer gestalteter Übergang zu unseren trauten Wohnlichkeit, vom Künstler selber mit Sorgfalt hergestellt und vergoldet. Sie machen das Bedrohliche der Bilder erträglich.

Die scheinbar versöhnliche Abgrenzung des Rahmens ist aber gleichzeitig gerade auch seine Härte, seine Kritik: Er teilt die Welt auf und verweist uns präzise an unsere Platz, in die Wohnkultur unserer Beschränkung. Denn Künstler und Bürger sind beide in der glücklichen Lage, die Widersprüche der Welt nur im Bilde voll austragen zu müssen.

Damit komme ich zur Galerie, in der wir stehen. Sie ist gleichsam Vorhof unserer Museen und Wohnzimmer und entspricht eigentlich dem alten Marktplatz. Sie ist Ort der Orientierung und Ort des Umsatzes von Kunstprodukten gleichzeitig. Sie hinkt damit der Entwicklung auf freundliche Weise hintennach: Noch nicht gespalten in Werbespot und Shoppingcenter entspricht sie noch dem Markt für Gemüse, Obst und Blumen. Das kommt uns entgegen, denn verbunden mit diesen Märkten ist traditionsgemäss ein kleines Fest: Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit den Bildern Heinrich Bruppachers und anschliessend im Rössli.

Amor Bild Februar 1972