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Ecopop-Initiative: Weshalb sich der SWB in dieser Debatte engagieren sollte
Ein Aufruf von Hermann Huber, Mitglied der SWB- Ortsgruppe Zürich, November 2012
Schon einige Zeit mache ich mir Überlegungen zur sogenannten Ecopop- Initiative. Nun wurde sie kürzlich eingereicht und sie ist damit ein umweltpolitisches Thema.
Der Dichte-Beitrag im ersten Werkbrief 2012 hat mich sehr beeindruckt, und er hat mich bewogen mit einer diesbezüglichen Anregung an den Werkbund zu gelangen:
Die im Mai 2011 lancierte Ecopop-Initiative postuliert einen Zusammenhang zwischen ökologischen Besorgnissen und einem Zuwanderungsprozentsatz. Das ist meines Erachtens neu in der Zuwanderungsdebatte. Bisher wurde sie fremdenfeindlich und rassistisch geführt. Mit dem Argument, eine bestimmte Zuwanderungsquote gefährde unsere Umwelt, tritt eine neue Dimension hinzu.
Ich finde, es könnte für den Werkbund eine interessante Aufgabe sein, zum gegebenen Zeitpunkt, d.h. wenn die Initiative im Hinblick auf die Volksabstimmung in der öffentlichen Diskussion ankommt, sich aufklärend in diese öffentliche Debatte einzumischen. Nach dem Medienecho und den Leserbriefreaktionen auf deren Ankündigung und zwischendurch, z.B. kürzlich bei der Einreichung, vermute ich, dass sie nicht nur den Fremdenfeinden ein zusätzliches Argument zuhält, sondern dass eine ganze Reihe politisch wenig aufgeklärter wohlmeinend besorgter Grüner auf sie hereinfallen könnte. (Vgl. z. B. Tagesanzeiger. 3.5.2011)
Die Argumentation für den Werkbund könnte meines Erachtens ungefähr folgender Spur folgen:
Als «Altachtundsechziger» erinnere ich mich noch, dass sich Lucius Burckhardt in seiner Soziologievorlesung an der ETH Architekturabteilung Ende der Sechzigerjahre kritisch mit den Theorien von Malthus (Übergang 18./19. Jahrhundert) zur sogenannten Übervölkerungsfrage auseinander gesetzt hat: Seine Kritik an Malthus: Er gibt keinen naturgegebenen Quotienten von Nahrungsmittelproduktion bzw. Fläche und Bevölkerungszahl. Es besteht dagegen eine Abhängigkeit von wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungsstufe (wir 68er nannten das damals «sozioökonomische Bedingungen») und Bevölkerungsdichte.
Im Sommer 2011 wurde in einem Artikel im «le monde international» (George Minois, Juni 2011, S. 13) das Thema von Malthus wieder aufgenommen und darauf hingewiesen, dass für die Jäger und Sammler niedrige Bevölkerungsdichten von 10 bis 25 Quadratkilometer pro Person gegolten haben dürften. Die sesshaften landwirtschaftlich tätigen Bevölkerungen hatten später wiederum ihre eigene, gegenüber den historischen Vorläufern höhere Bevölkerungsdichte. Bezeichnenderweise trat Malthus mit seinen Theorien am Beginn der industriegesellschaftlichen Entwicklung auf. Ein nächster Dichteschub begann sich damals abzuzeichnen und damit, wie es damals hiess, die sogenannte «soziale Frage». Malthus reagierte damals noch mit Vorschlägen für Quotienten und Verhaltensweisen zur menschlichen Reproduktion, noch nicht mit solchen zur Zuwanderung (Vgl. z. B. Tages- Anzeiger Magazin 39 /2011, S.4 Leserbrief Andreas Thommen, des Sekretärs Ecopop, (Malthus wird wieder aufgenommen).
Und heute? Zur Zeit geht es um einen neuen, bereits im Gang befindlichen Dichteschub: Statt dass wir wie die Jäger und Sammler den benachbarten Clanmitgliedern, nicht zu reden von den weiter entfernten Erdbewohnern, die in unser Territorium kommen möchten, die Köpfe einschlagen, bzw. sie per Einwanderungsquote an der Grenze abweisen, oder unter menschenverachtenden Bedingungen zurückschaffen, müssten wir unsere Lebensverhältnisse in einer Weise neu einrichten, dass sie den seit bereits ca. einem Jahrzehnt (wenn nicht länger) vorherrschenden neuen gesamtgesellschaftlichen Bedingungen entsprechen: der Globalisierung, der europäischen Vernetzung und Integration mit ihrer Personenfreizügigkeit, mit der generell erhöhter Mobilität, und vielem mehr.
Dieser Entwicklungsschritt wird zunehmend komplexer, da agrar- und industriegesellschaftliche Strukturen natürlich weiterhin bestehen und von den neuen Strukturen beeinflusst, durchdrungen und zu Anpassungen gezwungen werden. Dieser neue Dichteschub, diesmal zur nachindustriellen Gesellschaft, erfordert neue Wahrnehmungen, neue Mentalitäten und neue politische Instrumente zu deren Umsetzung. Der Rückgriff auf Malthus‘ Theorien wäre jedoch ein Irrtum und keine adäquate Antwort auf die komplexe gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Um es etwas zugespitzt zu sagen: Die Initiative zäumt wie man so sagt «das Pferd am Schwanz auf», denn sie will glauben machen, gesellschaftliche Entwicklungen liessen sich per Quote stoppen. Oder es liessen sich per Quote Inseln bilden: sozusagen innerhalb der zunehmend prekärer werdenden Festung Europa die 0.2%-Sonderfestung Schweiz.
Für die Interessenbereiche des SWB sind die notwendigen veränderten Sichtweisen und Mentalitäten von Fachleuten längst vorbereitet worden. Ich meine damit die schon in den 1970er Jahren postulierte neue Wahrnehmung von «Natur» und Landschaft durch den bereits erwähnten Lucius Burckhardt mit seinem Kasseler Umfeld und dem Deutschen Werkbund: die Naturwahrnehmung als jeweils geschichtlich bedingtes kulturelles Konstrukt. (Vgl. z.B. NZZ, 20.8.11 Nr. 193, S.57, Michael Kampe, Die Natur gibt es nicht). Seither ist einiges dazugekommen, die objektiven Zahlen zum weltweiten Klimawandel, neue Wahrnehmungsweisen des Stadt-Land-Verhältnisses, ein neuer Blick auf die Schweiz, wie ihn z.B. die ETH-Studie «Die Schweiz, ein städtebauliches Portrait» postuliert, ergänzt um eine ganze Reihe von Studien und Tagungsberichten zur Zersiedelungsproblematik, bis zur Dichte-Bilanz in der Archithese 3/2011, und z.B. dem Interwiew mit Jacques Herzog und Marcel Meili im TA vom 9. Juli 2011, sowie seither veröffentlichen Problemdarstellungen und Studien, den Werkbrief 1/12 mit eingeschlossen.
In der Auseinandersetzung über zu verändernde Wahrnehmung und künftige Massnahmen, (z.B. über neue Sichtweisen auf das Stadt/Land- Verhältnis, z.B. über Urbanität und «Dichtestress» (das Unwort des Jahres?), z.B. über «urban landscape» (Schwerpunkt an der Architekturabteilung der ZHAW in Winterthur), und vieles mehr könnte der SWB aufgrund seiner Diskursgeschichte einen wichtigen aufklärenden Beitrag zur Ablehnung solcher Initiativen leisten.