Stadtprofilierung

disP 170 3/2007

IBA Stadtumbau 2010, Band 4

Besprechung von Band 1 im disP 164, 1/2006

Regina Sonnabend, Rolf Stein Hrsg., IBA-Büro 2006, Die anderen Städte, IBA Stadtumbau 2010, Band 4: Profilierung von Städten, jovis Verlag, Edition Bauhaus Dessau, ganzer Text deutsch und englisch, 255 Seiten, ISBN 3-936314-82-9

Stadtprofilierung

Seit mehreren Jahren laufen europaweit Untersuchungen zu den Problemen schrumpfender Städte. Die Stiftung Bauhaus Dessau publizierte vor zwei Jahren unter dem Titel „Die Anderen Städte, IBA Stadtumbau 2010“ den ersten Band des vom IBA-Büro auf verschiedene Städte in Sachsen-Anhalt fokussierten Projekts. Vorgestellt wurden Absicht, theoretisches Konzept, Strategie und die damals 15 sich beteiligenden Städte mit den in Zusammenarbeit mit dem IBA- Büro erarbeiteten stadtspezifischen Profilierungsthemen.

Band 4 der Publikationsreihe mit dem Titel „Profilierung von Städten“…“erörtert theoretische und empirische Erkenntnisse über städtische Profilierung und Spezialisierung, Imagebildung und Marketing „. „Wie können Städte ihre spezifischen lokalen Potentiale identifizieren?“ Er stellt den Zwischenstand 2006 der Projektentwicklung in drei Städten in Sachsen-Anhalt mit ihren konkreten Profilierungsstrategien vor. Um diese vergleichend zu verdeutlichen und gleichzeitig in den Erfahrungshorizont von Städten mit ähnlichen Zielen einzuordnen, werden analoge Profilierungsstrategien aus je zwei anderen europäischen Städten dokumentiert.

Einleitend wird der Ansatz des Projekts umrissen (Oman Akbar):

„um auch bei zurückgehenden Einwohnerzahlen dauerhaft funktionsfähig zu bleiben“, gelte es „auf der Grundlage lokaler und regionaler Ressourcen unverwechselbare Profile zu entwickeln“. Die Herausgeber (Regina Sonnabend, Rolf Stein) spannen mit weiteren Autoren (Michael Manville, Michael Storper) das thematische Feld auf.

Der erste Teil des Bandes diskutiert generell Theorien und Strategien zur „städtischen Spezialisierung und Imagebildung, Chancen und Risiken“ zu fünf thematischen Schwerpunkten:

Der Beitrag „The Distinctive City, berufliche Spezialisierung in Städten und Implikationen für die Stadtentwicklung“ (Ann Markusen und Greg Schrock) untersucht die Begriffe „destinctiveness“ und „distinctive city“ und stellt die verschiedenen Dimensionen der Unverwechselbarkeit von Städten vor. Die Autoren ziehen den Schluss, „dass Unverwechselbarkeit ein Schlüssel zur städtischen Wiederbelebung ist“. Vorhandene Stärken seien auszuspielen und aktiv neue Kompetenzen zu entwickeln. Sie betonen aber, dass sich die Städte gleichzeitig auch „auf die Steigerung ihrer Bewohnbarkeit und Lebensqualität konzentrieren“ sollen.

Im Beitrag „Kleine und mittelgrosse Städte in der wissensbasierten Ökonomie: Herausforderungen und Optionen der Politik“ (Willem van Winden) zwei Sichtweisen werden auf die Wissensökonomie in Städten vorgestellt: Die eine sieht Wissensökonomie als Technologie und Innovation mit den zentralen Akteuren Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die andere betont, dass „auch der Erwerb von Fertigkeiten sowie der Einsatz und die Aufwertung von Wissen in ökonomischen Prozessen… in Städten mit fortgeschrittenen Dienstleistungen, kreativen Industrien oder innovativen Fertigungssektoren“ eine Chance haben.

Der Autor plädiert dafür, „bestimmte Nischen und Spezialisierungen kreativ zu entwickeln und strategische Partnerschaften mit anderen Städten einzugehen“. Er verlangt die Unterstützung auch von nicht-metropolitanen urbanen Regionen von Seiten des Bundes.

Unter „Urban branding, Imagebildung und regionales Wachstum“ (Ole B. Jensen) folgt eine Auseinandersetzung mit Themen wie, „Erlebnisgesellschaft“, „Sinnstiftung“, „symbolische Dimension“, „fun scapes“, „der Aufstieg der neuen kreativen Klasse“, „ Zunahme von Ungleichheit und sozialer Ausgrenzung“, und schliesslich auch „Werkzeuge für das Ausbilden von Identitäten“.

Bei „Urban Branding“ gehe es zunächst um „eine Bestandesaufnahme der massgeblichen lokalen Identitäten“, dann „um das Prägen von Konzepten und das Artikulieren von Unterschieden“. „Die Stadt aus Worten “ würde die gebaute Stadt recht eigentlich überlagern. Dem Verfasser ist es wichtig, dass „im Kontext neoliberaler Deregulierung“ die „sozialstaatliche Stadt durchaus als Aktivposten statt als Bürde“ verstanden wird. Zusammenfassend bezeichnet er „Beteiligung der Bürger, öffentliche Stimme und Toleranz gegenüber Verschiedenheit als neue Grundlage und Wertebasis für Branding“.

Der Abschnitt „Konzentrations- und Spezialisierungstrends in Deutschland – eine Analyse unter besonderer Berücksichtigung Sachsen-Anhalts“ (Jens Südekum) diskutiert Theorien zur räumlichen Wirtschaftsstruktur und äussert zusammenfassend Skepsis, ob „die voranschreitende Handelsintegration in Europa zu einer verstärkten regionalen Konzentration und Spezialisierung führen werde.“

„Profilierung und Spezialisierung alter Industriestädte – Trends und Konzepte am Beispiel des Ruhrgebiets“ (Dieter Rehfeld): Anhand der Grundgedanken und Erfahrungen der IBA Emscher Park diskutiert der Autor die Möglichkeiten und Chancen, „das spezifische Profil einer industriellen Kulturlandschaft zu entwickeln“. Identitätsbildung oder -veränderung sei kein rationaler, widerspruchsfreier Prozess. Jede Profilierung könne nur gelingen, wenn sie nicht nur eine Inszenierung bleibe, sondern sich breit auf die Menschen des Gebietes abstütze.

Im zweiten Teil des Bandes werden drei Städte in Sachsen-Anhalt mit ihren Schwerpunktthemen beschrieben, einleitend je mit generellen Überlegungen zum jeweiligen Schwerpunk, anschliessend stadtspezifisch.

„Gesundheitsregionen im Vergleich“ (Josef Hilbert) gibt den Rahmen zur Einordnung der folgenden drei Städte:

Köthen (Kurt-Jürgen Zander) baut seine Profilierung auf der seit dem 19. Jahrhundert am Ort bestehenden Tradition der homöopathischer Medizin auf. Ein Kompetenzzentrums für Prävention und Gesundheitsfortbildung, medizinische Dienstleistungen und Spitalsanierungen sind beabsichtigt.

Vergleichend wird über analoge Bestrebungen oder Ergebnisse in Bad Wörishofen (Detlef Jarosch) mit seinem „Image von Kneipp“ und die finnische Stadt Kuopio (Heikki Helve) mit „Wissenschaft, Wellness und Business“ als Schwerpunkte berichtet.

„Wissensbasierte Ökonomie und Stadtentwicklung in Deutschland“ (Peter Franz) formuliert den wissenschaftspolitischen Kontext für die drei Städte mit diesem Schwerpunkt. Der Verfasser plädiert insbesondere für eine „deregulierte Universität „und verspricht sich davon eine neue Dynamik, ist sich aber bewusst, dass dies zu neuen gesellschaftlichen Ungleichheiten führen könne.

Magdeburg (Lutz Trümper) ist „Handels-, Verwaltungs- und Dienstleistungszentrum und zugleich Standort innovativer Unternehmen. Angestrebt wird ein „Strukturwandel durch Wissenschaft“. Höhepunkt dieser Entwicklung werde der „Umbau des historischen Handelshafens zu einem modernen Wissenschaftshafen“ sein.

In Gliwice (Katarzyna Kobierska, Pawel Kopczynski) haben Opel und andere industrielle Unternehmen neue Arbeitsplätze geschaffen. Ein Schlesisches Logistikzentrum ist eröffnet. Auf den Altflächen des Kohlebergwerks soll ein Geschäfts- und Bildungszentrum entstehen, im ehemaligen Zechengebäude ein „Unternehmensinkubator“ und eine Schule für Unternehmenskultur.

2004 wurde Newcastle (Joseph Place) vom britischen Finanzminister zur „Science City“ erklärt. Im Vordergrund stehen vier Bereiche wissenschaftlicher Forschung: Altern und Gesundheit, Energie, molekulare Nanotechnologie und Stammzellenbiologie.

Als Einleitung zu „Lutherstadt Wittenberg“ (Friedrich Gnad) wird der Stellenwert des Kulturellen Erbes innerhalb eines Profilierungskonzepts diskutiert: „mehr als museale Angebote“, Bauten und Stadträume, Landschaften, Gärten. Kunst, Literatur, Musik, Film, sind Stichwörter. Es gelte, Potenziale zunächst einmal als solche wahrzunehmen.

Wittenberg (Eckhard Naumann) prägt sein Leitbild: die „Marke Campus Wittenberg“. Sie zielt auf den „Aufbau einer leistungsfähigen Bildungs- und Forschungslandschaft“ mit einem „geschichtlichen, industriekulturellen und kulturlandschaftlichen Erbe.“

Pécs (Tarnàs Szalay) bewirbt sich als Kulturhauptstadt 2010 und will „grenzüberschreitend“ eine „Südliche Kulturregion“ von Triest bis Arad in Rumänien ins Leben rufen.

Santiago di Compostela (Romàn Rodriguez Gonzales, Xosé M. Santos Solla wird „Zentrum des urbanen Kulturtourismus“. Als neue Regionalhauptstadt spielt auch hier die Ernennung zur europäischen Kulturhauptstadt eine wichtige Rolle für Selbstverständnis und Stadtmarketing.

Der erste Teil des Bandes und die theoretischen Texte im zweiten sind darstellend, erklärend, abwägend, auf die Ambivalenz von Spezialisierung und Marketing hinweisend und kritisch hinterfragend. Sie argumentieren kontrovers. Die stadtspezifischen Texte veranschaulichen Absichten und Motivation der Städte und zeigen das Engagement für die erarbeiteten Ziele und Massnahmen. Diese Beiträge sind schon Teil des beschriebenen Stadtmarketings.

Mit wenigen Ausnahmen (Magdeburg, Gliwice) fehlen Hinweise auf die stadträumliche Umsetzung der erläuterten Programme.

Das Buch ist für alle, die das Unterfangen „IBA-Stadtumbau 2010 weiterverfolgen, aber auch für Fachleute aus Planung und Politik, die sich, von der Stadt- bis zur Bundesebene, mit der Verteilung und Lenkung von Fördermitteln, mit der Frage ‚Profilierung von Städten und Regionen contra möglichst gleichmässige Förderung’, beschäftigen.

Regina Sonnabend, Rolf Stein Hrsg., IBA-Büro 2006, Die anderen Städte, IBA Stadtumbau 2010, Band 4: Profilierung von Städten, jovis Verlag, Edition Bauhaus Dessau, ganzer Text deutsch und englisch, 255 Seiten, ISBN 3-936314-82-9

Besprechung von Band 1 im disP 164, 1/2006