disp Zwischenstadt entwerfen, Zwischenstadt Band 5:
Oliver Bormann, Michael Koch, Astrid Schmeing, Martin Schröder, Alex Wall, Zwischen Stadt Entwerfen, Band 5 der Schriftenreihe Zwischenstadt, hrsg. von Thomas Sieverts, Verlag Müller und Busmann, Wuppertal 2005, ISBN 3-928766-68-6, 204 Seiten
Entwerfen neu denken
Seit Anfang der 90er Jahre ist ein Paradigmenwechsel im Gange bezüglich der zunächst ausschliesslich negativ als „Zersiedelung” beurteilten und dann seit 1997 als „Zwischenstadt“ wahrgenommenen und benannten Phänomene ausserhalb der Kernstädte. Band 5 der seit 2002 laufenden Publikationsreihe befasst sich mit dem Aspekt “Zwischenstadt entwerfen”.
Nahezu die Hälfte des Bandes wird darauf verwendet, die Notwendigkeit eines Neuen Blicks auf die Zwischenstadt zu begründen, zu seiner Schärfung beizutragen, ja, diesen Blick von den beteiligten Fachleuten als dringend einzufordern.
Der zweite Teil beschäftigt sich mit dem entwerfenden Eingreifen in die Zwischenstadt, und er begründet die Notwendigkeit eines neuen Entwurfsverständnisses. Neben den theoretischen Erläuterungen werden zweierlei Projektansätze gezeigt:
Zunächst gestalterische Eingriffe und Aktionen, die aufklärend, oft phantasievoll provokativ, dazu beitragen sollen, den Neuen Blick auch dem Laien, d.h. dem alltäglichen Nutzer der Zwischenstadt, nahe zu bringen.
Zweitens aber und vor allem geht es um planerische und gestalterische Strategien, darum, an Beispielen Möglichkeiten des handelnden Eingreifens in die weitere Entwicklung der Zwischenstadt aufzuzeigen, Beispiele, die das “Gestaltungspotential ausloten” und dazu beitragen, “neue Werkzeuge zu erfinden“.
Das Buch mündet in eine Auseinandersetzung mit dem Entwurfsbegriff und zieht Folgerungen für ein neues Selbstverständnis der beteiligten Disziplinen und Akteure.
Im ersten Teil werden unter den Überschriften „Lesart“ und „Positionen“ zunächst sichtbare Phänomene ausgewählt und benannt: “Elemente, Ränder, Temporäre Zentren, Blinde Flecken, XXL-Strukturen, Bänder, Klone, Kerne”; dann werden Zusammenhänge charakterisiert: „Überlagerungen, Komprimierter Raum, Entflochtene Öffentlichkeit, Mehrfachcodierung, Pachwork Urbanismus , Emanzipation der Peripherie, Knotenpunkte“, u.a.
Unter „Positionen“ folgt eine kritische Zusammenstellung heute gebräuchlicher Mentalitäten und Umgangsformen mit dem Phänomen Zwischenstadt,
Da sind die Konservativen der „nostalgischen Gegenwelten“ , der „versteinerte europäische Stadtbaumythos“ des „New Urbanisme“, da ist die „Erfindung von Typischem“, die Stilisierung signifikanter Relikte als Inszenierung, und da ist das ‚No-Design‘, die pragmatisch/technokratische Ingenieur-Planung, da ist auch die “autistische“ Entwurfshaltung, die lediglich “aus der Retorte der Formgeschichte” gefundene Formen beliebig implantiert. Der Anspruch ganzheitlicher Ordnung sei überholt (96), ebenso die immer noch vielerorts festgeschriebene Funktionsentflechtung und das Credo der „dezentralen Konzentration“(98).
Die traditionelle Stadt-Land-Hierarchie, ein romantisierendes Natur- und Landschaftsverständnis, der vorindustrielle Landschaftsbegriff, werden kritisch hinterfragt.
Damit wird eine Eigenpositionierung vorgenommen:
Die „Kritische Befragung der traditionellen Rolle des Entwerfers“ äussert sich zunächst einmal als Unbehagen an den gängigen Positionen. Es gelte, die Zwischenstadt produzierenden Phänomene als Realität zu begreifen (43) und adäquate Strategien zu finden, Gräben zwischen Planung und Entwurf, Nutzung und Aneignung zu überwinden, „die andere Stadt als Utopie (zu) lesen“!
Den „Neuen Blick“ richten die Autoren auf bisher wenig beachtete Aneignungsformen z.B. durch Jugendkulturen: Tankstellen als Treffs, Skater auf Parkplatzwüsten, Clubkulturen, die sich irgendwo einnisten, illegale Parties, Temporäres und Zwischennutzungen, ambivalente Räume, verschieden lesbar und nutzbar, unterschiedliche Teilöffentlichkeiten anstelle der einen städtischen Öffentlichkeit.
Künstlerische Interventionen wie die “Puulheimer Rochade” machen solche Umwertungen deutlicher sichtbar: (76) Durch den Austausch örtlicher Eigenarten verfremdet diese Intervention die gewohnte Alltagssituation, schafft Stolpersteine der Wahrnehmung.
Sogenannte “Observatorien” (164), “hybride Gebilde zwischen Installation, Bauwerk und Landschaftsarchitektur” einer holländischen Künstlergruppe verbinden auf irritierende Weise Wohnsiedlung und Autobahn.
Die Hamburger “Hafensafari” (113) macht den Ort sichtbar, für den 2004 Visionen diskutiert werden. „Entwurf versteht sich als Animation urbaner Aneignung“.
Das Projekt Aarepark schlägt statt eines Parkentwurfs eine “interaktive Strategie” als Programm vernetzter Routen für “Parkwanderer” vor.
Mit den Stichworten “Interaktiv” und “Transformation” wird für ein gesellschaftlich erweitertes Entwurfsverständnis geworben, insbesondere mit Beispielen interaktiver Ansätze und einer neuen Sicht auf die Landschaft und den Stadt-Land-Bezug.
Dichte (97) wird als „Erlebnis-, Ereignis- visuelle und kulturelle Dichte“ verstanden.
Am Beispiel Kaisersrot wird der Versuch interaktiver Entwurfsprozesse mit einer “Symbiose von Bottom-Up und Top-Down-Verfahren” (91) geschildert.
Diverse Projekte interpretieren das Verhältnis von Stadt und Landschaft neu und thematisieren “Anreicherung und Verdichtung”.
Die ”Euregionale Grünmetropole” im Grenzraum Deutschland Holland Belgien verbindet Elemente, “die den Raum regional identifizierbar machen”.
Der Landschaftspark NiederRhein arbeitet mit “prägenden Besonderheiten” und “wendet sich gegen eine beliebige Arrondierungspolitik”.
Der Rahmenplan für das Gebiet Leidsche Rijn stellt undefinierte Räume neben städtebaulich und landschaftsplanerisch kontrollierte, definiert „Zonen hoher Homogenität und Heterogenität“. Landschaft wird „als zentraler suburbaner Park“ zum Träger grösstenteils nicht spezifizierter Programme (127).
“AgroCity ist das Konzept einer “konzentrierten Zersiedelung eines Talraums” mit “kompakten Siedlungsclustern“ um die Stadt Bozen.
Elemente des Lebensraums Gäu im Bereich Solothurn Olten werden mittels imaginärer Überflutung und Ufergestaltung sichtbar gemacht.
Olten Südwest ist ein “Landschaft durch Stadt” – Projekt, das die Abgrabungen eines Kieswerks landschaftswirksam mit Bauten ‘auffüllt’.
Das Potential der zunehmenden Mobilität nutzend werden neue Umsteigeorte zu einem Netzwerk zentraler Knotenpunkte. Beispiel ist OMAs “Transferia” als “multi-modaler Transportknoten” mit Anlagerung urbaner Funktionen.
Vom Umgang mit Schrumpfungsprozessen handelt das “Szenario der Präriestadt” als Hybrid aus Landschaftsraum und kompakter Siedlungsform.
Diese sorgfältig beschriebenen Projekte reflektieren nochmals, worum es den Verfasserinnen und Verfassern geht. Sie schärfen zudem den Blick, auch für weitere Konzepte.
Das Schlusskapitel ‚Vers un Urbanisme Culturel‘ diskutiert den Stellenwert der „Form“ und setzt sich mit dem Neuen Entwerfen auseinander (95). Die VerfasserInnen proklamieren ausgehend von ihrer Kritik an jedem ”Gesamtgestaltungsanspruch”, das Ende des Masterplans zugunsten des Erkennens und des entwerfenden Eingreifens in die vielfältigen schon bestehenden und zu akzeptierenden Kräfte und Einflussfaktoren.
Entwerfen wird verstanden als Interaktion mit den verschiedenartigen und widersprüchlichen Kontexten, als Arbeit “mit den raumprägenden Einflusskräften”, die Zwischenstadt produzieren. Es gehe darum, „Möglichkeitsräume auszugestalten“. „um das Antizipieren von Zukünften“. Und es gehe um „die Entwicklung eines geeigneten Repertoirs“.
Es gelte, als Entwerfende sich auf das Mehrdeutige einzulassen und die “subversive Kraft des Mehrdeutigen” freizulegen (156).
Aus der jüngeren Entwurfsgeschichte wird u.a. Bezug genommen auf die Vorgehensweisen, die das Büro OMA für den Parc de la Villette und für Mélun- Senart vorgeschlagen hat, ein “angepasster Avantgardismus“ der „nicht versucht, über die Gestaltung den Prozess zu generieren“, sondern mit den „raumprägenden Einflusskräften zu arbeiten und urbanitätsstiftend in sie einzugreifen“ (127).
Das bedinge eine Annäherung der Disziplinen(136) und die Arbeit „zwischen den Disziplinen“ (173).
Ein neues Entwurfsverständnis, eine neue Rolle der Planer, “ein veränderter Planungsalltag” wären die Folge.
Als Anregungen werden Analogien vom Bild des „Surfers auf den Wellen“ bis zum Material- und Werkverständnis zeitgenössischer Komponisten vorgeschlagen.
Der Abschnitt mündet in einen Appell an die Ausbildungsstätten.
Das Buch plädiert für ein neues Selbstverständnis der beteiligten Disziplinen und für Folgerungen für Verwaltung und Ausbildung.
Prägnante Fotos illustrieren den Text. Zu den mit Plänen dokumentierten Projekten wünschte man sich mehr direkt erläuternde Bildlegenden.
Dem Buch ist eine weite Verbreitung zu wünschen. Angesprochen werden alle, die sich mit der Zwischenstadt als Planerin oder Architekt, als Beamtin, Politikberater, Investor oder als Aus- und Fortbildnerin, beschäftigen.
Eine Anmerkung zum Stand der Diskussion 2005: Man hat den Eindruck, dass die Autorinnen und Autoren immer noch unter einem gewissen ‘Rechtfertigungsdruck’ bezüglich der Unterstellung einer affirmativen Haltung zur Zwischenstadt, stehen…
Oliver Bormann, Michael Koch, Astrid Schmeing, Martin Schröder, Alex Wall, Zwischen Stadt Entwerfen, Band 5 der Schriftenreihe Zwischenstadt, hrsg. von Thomas Sieverts, Verlag Müller und Busmann, Wuppertal 2005, ISBN 3-928766-68-6, 204 Seiten